Kinderarmut in Stuttgart

Veröffentlicht am: 10.07.2019

Kinderarmut ist auch 2019 in Deutschland weit verbreitet. Genau genommen ist es ein Dauerzustand, obwohl die Wirtschaft Deutschlands hinsichtlich des Bruttoinlandsprodukts die größte Volkswirtschaft Europas und die viertgrößte Volkswirtschaft weltweit ist. Doch wie viele Kinder sind in Deutschland und besonders in Stuttgart von Kinderarmut betroffen? Stuttgart zählt immerhin zu den wirtschaftsstärksten Städten Deutschlands und gehört seit diesem Jahr zum sehr kleinen Kreis der Schuldenfreien Städten Deutschlands.

Wann ist ein Kind überhaupt von Kinderarmut betroffen? Auf diese Fragen möchten wir gerne eine Antwort geben und zunächst auf die Anzahl der von Armut betroffenen Kinder in Deutschland eingehen.

Im August letzten Jahres hat der Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e.V. einen Bericht mit der Überschrift „Kinderarmut deutlich höher als gedacht: 4,4 Millionen Kinder sind nach Berechnungen des DKSB betroffen – Dunkelziffer liegt bei 1,4 Millionen“ veröffentlicht. 1

Für drei Millionen Kinder zahlt der Staat Sozialleistungen, damit ihr Existenzminimum gesichert ist. Dazu gehören u.a. die Leistungsbezieher*innen von SGB II-Leistungen (Hartz IV). Gemäß Statistik der Bundesagentur für Arbeit lebten im Dezember 2017 insgesamt 2,028 Millionen (unverheiratete) Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre in Familien, die auf SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV) angewiesen waren, amtlich, in SGB II-Bedarfsgemeinschaften. 2

Zählt man diejenigen dazu, die ebenfalls Leistungen aber andere Leistungsarten erhalten, wie Kinderzuschlag, Wohngeld, Grundsicherung nach dem SGB XII oder dem Asylbewerberleistungsgesetz, sind es gut 3 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre. 3

Zählt man aber auch diejenigen Familien hinzu, die Anspruch auf Hartz IV, Kinderzuschlag oder Wohngeld haben, diesen aber nicht nutzen, ist die Zahl der in Armut lebenden Kinder noch deutlich höher und liegt bei ca. 4,4 Millionen. Viele Familien beantragen Leistungen erst gar nicht, die ihnen aufgrund ihres geringen oder fehlenden Einkommens eigentlich zustehen. Die Gründe für die Nicht-Beantragung sind z.B. geringe Transparenz zur Anspruchsberechtigung, Bürokratie oder Angst vor Stigmatisierung.

Genaueres geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine „Kleine Anfrage“ von Bündnis 90/ Grüne vom 18.6.2018 hervor. 4 Ergänzende Leistungen bei Erwerbstätigkeit, sogenannte „aufstockende“ Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II (Hartz IV), nehmen geschätzt nur ca. 50 Prozent der tatsächlich Berechtigten in Anspruch. Das betrifft rund 850.000 Kinder unter 18 Jahren, die bislang nicht als arm galten. Dazu kommen nach Berechnungen des Kinderschutzbundes noch mal 190.000 Kinder (ca. 30 % Nicht-Inanspruchnahme), deren Eltern nicht erwerbstätig sind und trotzdem nicht mit anderen Leistungen aufstocken.

Bei einzelnen Leistungen ist die Nicht-Beantragung sogar noch deutlich höher und liegt bei bis zu 70 Prozent, wie das Bundesfamilienministerium in seinem Familienreport 2017 für den Kinderzuschlag einräumt. Diesen nehmen nur 30-40 Prozent der Berechtigten in Anspruch. Davon betroffen sind mindestens weitere 350.000 Kinder unter 18 Jahren. Dazu kommen theoretisch auch noch nicht abgerufenes Wohngeld beziehungsweise nicht in Anspruch genommene SGB-XII-Leistungen, gesicherte Aussagen darüber liegen aber nicht vor.

Nach dieser Berechnung ist in Deutschland jedes dritte Kind (ca. 32,4 %) von Armut betroffen.

Kinderarmut in Stuttgart:

Ist die Stadt Stuttgart durch ihre starke wirtschaftliche Lage bezüglich „Kinderarmut“ im Vergleich zu Deutschland besser aufgestellt?

Gemäß der Antwort auf unsere Anfrage beim Statistik-Service Südwest der Bundesagentur für Arbeit lebten im Januar 2018 insgesamt 13.636 (unverheiratete) Kinder und Jugendliche unter 18 Jahre in Familien, die auf SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Hartz IV) angewiesen waren.

Auf unsere Anfrage bei der Familienkasse-Direktion der Arbeitsagentur, wie viele Kinderzuschlag-Bezieher es in Stuttgart gäbe“, haben wir die Antwort erhalten, dass die Daten in der Vergangenheit auf kommunaler Ebene veröffentlicht wurden, diese jedoch derart von den tatsächlichen Bezugszahlen abweichen, dass sie wegen der missverständlichen Aussagekraft nicht mehr veröffentlicht werden dürfen.

Dies ist natürlich eine Antwort mit der wir uns nicht zufriedengeben können und haben daher weitere Schritte eingeleitet, um die Zahlen zu ermitteln. Bis dahin bleibt uns nur die Möglichkeit uns auf die bundesweiten Werte zu beziehen. Selbstverständlich wissen wir, dass hier Abweichungen auf kommunaler Ebene entstehen können, trotzdem kann man sich einen ungefähren Eindruck über die Situation verschaffen.

  Bundesweit Stuttgart
Unter 18 Jahre (Dez. 2017) 13.538.146 97.711
SGB II – Leistungen 2.028.000 13.636
SGB II – % 14,98 % 13,96 %
Ab hier Bezug auf bundesweite Werte    
Andere Leistungsarten 972.000 (7,18%) 7.016 (7,18%)
Inanspruchnahme von einzelnen Leistungen 229.881 (40 %) 1.564 (40 %)
Nicht – Inanspruchnahme von einzelnen Leistungen 344.821 (60 %) 2.346 (60 %)
„aufstockende“ Leistungen 850.000 (6,28 %) 6.137 (6,28 %)
Berechnung von Kinderschutzbund 190.000 (30 %) 1.391 (30 %)
     
Summe 4.384.821 (32,39) 30.526 (31,24)
Der Bezug der SGB II – Leistungen ist in Stuttgart mit (13,96 %) im Vergleich zum Bund mit (14,98 %) fast identisch. Dass in Stuttgart, trotz der guten wirtschaftlichen Lage, die Kinderarmut im Vergleich zur Bundesebene fast identisch ist, möchten wir an einem Beispiel mit den sogenannten „Aufstockern“ zeigen, die einen ungefähren Anteil von 40 % der von Armut betroffenen Kinder ausmachen.

In den deutschen Großstädten gibt es über 1,3 Millionen Beschäftigte die nach Abzug Ihrer Miete einen Betrag erwirtschaften der unter dem Hartz IV- Satz liegt. Der Grund dafür sind die hohen Mieten in den Großstädten und so könnte die Anzahl der Stuttgarter Kinder die in Armut leben vielleicht sogar noch größer ausfallen.

Das prekäre daran ist, dass es für diese Kinder (ca. 32 %) die, die zustehenden Leistungen nicht abrufen, doppelt ungünstig ist, da für sie auch die Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket wegfallen.

Gerade diese beiden Punkte sind für die Kinder sehr wichtig um die Chance zu erhalten als Erwachsener aus der Armut herauszukommen und als Kind von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt zu werden. Ein Grund warum wir uns auch in diesen beiden Punkten stark einsetzen.

Wann ist ein Kind überhaupt von Kinderarmut betroffen?

Es gibt drei Formen von Armut: absolute, relative und gefühlte Armut. Was die Formen gemein haben: Es geht um die ungleiche Verteilung von Chancen für Menschen, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.

Absolute Armut: Weniger als 1,90 US-Dollar am Tag

Absolute Armut bedeutet, dass jemand so arm ist, dass er oder sie nicht einmal das Nötigste zum Überleben besitzt. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn man weder Essen noch sauberes Trinkwasser hat. Oder wenn man keine Wohnung besitzt und auf der Straße leben muss. Die Weltbank definiert einen Menschen als extrem arm, wenn ihm pro Tag weniger als 1,90 US-Dollar zur Verfügung stehen. Dieser Betrag gilt als finanzielles Minimum, das ein Mensch zum Überleben braucht. Vor allem in Afrika und Südasien leben viele Menschen unterhalb der internationalen Armutsgrenze und es sind ungefähr 760 Millionen Menschen und darunter ca. 385 Millionen Kinder weltweit die in extremer Armut leben. Davon ist Deutschland zum Glück verschont, jedoch haben wir auch hier Kinder bei denen es Alltag ist hungrig ins Bett zu gehen oder welche die in Obdachlosigkeit landen. Ca. 32.000 Kinder und Jugendliche sind in Deutschland heimat- oder obdachlos. Nach Einschätzungen von „Off Road Kids“ gibt es ungefähr 2500 minderjährige Ausreißer pro Jahr, die in die Großstädte kommen – 300 davon werden zu Straßenkindern. Bei den Volljährigen liegt die Zahl deutlich darüber, bei 20 000.

Relative Armut bezieht sich auf soziale Ungleichheit

Kinderarmut in Deutschland wird auch als relative Armut bezeichnet, weil arme Menschen hierzulande immer noch mehr Geld zur Verfügung haben als arme Menschen in Entwicklungsländern. An der Grenze zur Armut befindet sich jemand, der weniger als 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens zur Verfügung hat. Arm sind diejenigen, die nur auf 40 bis 50 Prozent des mittleren Nettoeinkommens kommen. Für eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren wären das weniger als 1926 Euro netto im Monat. Die relative Armut orientiert sich also am sozialen Umfeld eines Menschen. Sie bezieht sich, anders als die absolute Armut, auf soziale Ungleichheit und wird in Deutschland und dem restlichen Europa als Armut definiert.

Familien, die in Deutschland von Armut betroffen sind, haben eine gesicherte Existenz, leben aber oft nur mit dem Nötigsten. Täglich eine warme Mahlzeit ist für arme Kinder in Deutschland nicht selbstverständlich. Im Winter frieren einige, weil die Eltern keine warme Kleidung kaufen können. Kultur und Freizeit kosten Geld. Erhielten Kinder kostenlos Zugang zu Theater und Schwimmbad, könnten sie gesellschaftlich und sozial mithalten. Die Kinder müssen auf vieles verzichten, was für andere Gleichaltrige selbstverständlich ist. Armut ist deshalb nicht nur ein materielles, sondern auch ein gesellschaftliches Problem.

Gefühlte Armut: Ausgrenzung & Diskriminierung

Gefühlte Armut wird nicht an Einkommensgrenzen gemessen. Sie entspringt einem subjektiven Gefühl, wenn sich ein Mensch wegen seiner wirtschaftlichen Situation gesellschaftlich ausgegrenzt oder diskriminiert fühlt.

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